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Euphorie, Panik, Angst und Gier – Vermeide diese vier

Kommentare Michael Seibold 2.037 Leser

Bereits Isaac Newton sagte 1720: “Ich kann zwar die Bahn der Gestirne auf Zentimeter und Sekunden berechnen, aber nicht, wohin eine verrückte Menge einen Börsenkurs treibt.“ Anleger halten zulange an Verliererpapieren fest und verkaufen hektisch Gewinnerpapiere, Gier und Angst sind der tägliche Begleiter vieler Anleger. Der Mensch ist wenig rational – das gilt nicht nur an der Börse. Doch wer am Kapitalmarkt lernt, seine Emotionen in den Griff zu bekommen, kann sich viel Lehrgeld sparen. Behavioral Finance ist die wissenschaftliche Theorie, die sich mit systematischen Abweichungen vom vollkommenen Kapitalmarkt(-verhalten) bzw. der sich vom homo oeconomicus unterscheidenden Entscheidungsfindung beschäftigt. Sie untersucht zum einen das menschliche Verhalten, zum anderen welche Einflüsse es für die Entscheidungsfindung gibt. Emotionen führen häufig vom neutralen Optimum hinweg.

Auf extreme Angst folgt oft extreme Gier

Auf extreme Angst folgt oft extreme Gier und umgekehrt. Ein Index, der Angst und Gier der Anleger misst, ist der sogenannte “Fear & Greed Index.“ Dieser unterscheidet Werte zwischen 0 und 100. Werte nahe 0 signalisieren extreme Angst, Werte nahe 100 extreme Gier. Begibt man sich auf die Ursachenforschung nach extremen Stimmungsumschwüngen, dann spielen oft Faktoren wie die Gewinnentwicklung der Unternehmen oder die Konjunktur nur eine untergeordnete Rolle. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Mitte Dezember 2018 notierte der von CNN Business anhand von sieben Kriterien berechnete “Fear & Greed Index“ bei 8, ein Jahr später stand der Index bei Werten über 90. Dies war genau die Zeit, in der sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China vollstreckte, als das Brexit-Drama hochkochte usw. Hoffnungen auf einen Handelsdeal gab es Ende 2018, aber auch Ende 2019. Unsicherheiten bezüglich des Brexits gab es auch in beiden Fällen und dennoch haussierten die Aktienmärkte 2019, als ob es kein Morgen mehr gegeben hat. Der Schlüssel für die Euphorie an den Aktienmärkten war die Wende in der US-Geldpolitik. Die US-Notenbank Fed hat eine Serie von Zinssenkungen gestartet und dies noch mit einem aggressiven Gelddruckprogramm flankiert. Die Fed hat also den Anlegern stark wirkende Antidepressiva verabreicht, das alle real existierenden Risiken überschatten lässt.

Stress und Angst als Begleiter

Stress ist ein komplexes Phänomen aus physiologischer, emotionaler und motivationaler Sicht. Stress ist messbar beispielsweise am Cortisolspiegel in der Nebennierenrinde. Diese Situation bereitet den Körper auf eine Flucht- oder Kampfreaktion vor. Getragen wird dieser Umstand emotional durch die kognitive Bewertung der Situation. Vor allem bei schnellen Kursstürzen an der Börse wie aktuell ist Stress für das Verhalten der Anleger entscheidend. Unter Stress werden Informationen oft schlechter verarbeitet, was dann letztlich in einem gelähmten Zustand der Hilflosigkeit mündet. Um sich von dieser Reaktion zu befreien, erfolgt oft der Verkauf der Wertpapiere. Angst ist evolutionsgeschichtlich ein sinnvoller und hilfreicher Affekt. Er warnt uns vor Gefahren schützen. Wir können Angst bewusst oder unbewusst erleben. Erlebte Gefahrensituationen prägen sich tief in unser Gedächtnis ein. Grundsätzlich möchte der Mensch Angstsituationen vermeiden. Müssen jedoch Entscheidungen getroffen werden, werde jene vorgezogen, die gut abschätzbar sind. Schlecht abschätzbare Entscheidungen werden gänzlich gemieden – solch genannte Ambiguitäten führen an der Börse zu Preisabschlägen.

Kognitive Dissonanz

Bei kognitiver Dissonanz handelt es sich um erlebte Erfahrungen eines Individuums, wenn zuvor von ihm getroffene Entscheidungen im Widerspruch zu aktuell aufgenommen Informationen stehen. Kennen Sie die Situation? Sie habe gerade eine Aktie gekauft, die anschließend stark gefallen ist. Wie gehen Sie mit der Situation um? Reagieren Sie mit Abwehr? Ändern Sie sofort Ihr Verhalten, indem Sie die Position wieder glattstellen? Bewerten Sie Ihr Verhalten neu oder fügen Sie eine neue Kognition hinzu, indem Sie Informationen sammeln, die der Aktie eine langfristige positive Entwicklung prognostizieren?

Massenpsychologische Effekte

Menschen verhalten sich oft in einer unsicheren Situation, für die sie keine eigenen Erfahrungswerte haben, wie die Masse (Herdentrieb). Phänomene der Gleichschaltung des Verhaltens können für das Entstehen von Spekulationsblasen verantwortlich gemacht werden (siehe Finanzkrise). Die Synchronisation des Verhaltens führt immer mehr zur Übertreibung an den Märkten. Erreicht diese Übertreibung die Spitze, kommt es meist zu massenpsychologischen Kettenreaktionen, bei denen die Ängste der Teilnehmer vor nicht abschätzbaren Risiken überwiegen. Es kommt zum Vertrauensverlust.

John Maynard Keynes sagte bereits: “Das Geheimnis des erfolgreichen Börsengeschäftes liegt darin, zu erkennen, was der Durchschnittsbürger glaubt, was der Durchschnittsbürger tut.“

Wie das Gehirn uns täuscht

Haben Sie gewusst, dass die Erwartung eines Geldgewinns an der Börse das gleiche Hirnareal aktiviert wie die Einnahme von Kokain? Nobelpreisträger Daniel Kahnemann versucht zu erklären, warum der Mensch mit Geld nicht rational umgehen kann. Anleger lassen oft Verluste laufen und begrenzen Gewinne. Laut Kahnemann und Tversky neigt der Mensch einerseits dazu, Verluste wieder schnell aufholen zu wollen und andererseits dazu, größere Gewinne gar nicht zuzulassen. Der Mensch neigt also genau zum Falschen, wenn er seinen Emotionen nachgibt. Richtig wäre da Gegenteil, Gewinne laufen zu lassen und Verluste zu begrenzen. Ein Risikomanagement ist angesagt. Helfen können klar formulierte Strategien im Vorfeld, Disziplin, Geduld und Demut. Wer ohne Plan und Ziel in den Markt geht, sollte die Finger von all dem lassen und das Geld lieber sparen.

Fazit

Jedes Individuum, das sich mit Fragen der “Financial Behavior“ beschäftigt, kann für sein eigenes Verhalten und seine eigene Persönlichkeit daraus einen großen Nutzen ziehen. Es beginnt mit dem Erlernen eines professionellen Umganges mit den eigenen Emotionen bis zu einem besseren Verständnis der Emotionen Ihrer Mitmenschen – allgemein geht es um Empathie als Grundlage harmonischen menschlichen Miteinanders. Triebkräfte wie Angst, Gier, Euphorie und Panik sorgen an der Börse mit einer fast schon unheimlichen Regelmäßigkeit zu Über– oder Untertreibungen. Für uns Börsianer ist es daher unerlässlich, sich dieser Mechanismen bewusst zu sein. Wir wissen, dass die Natur des Menschen dazu führt, dass sich die Geschichte wiederholt. Sie wiederholt sich zwar niemals exakt gleich, aber die Resultate menschlichen Handelns münden immer in den gleichen Ereignissen. Wenn wir uns bewusst unserer Heuristiken und massenpsychologischen Phänomene werden, können wir sie gezielt vor der Entscheidung einer Investition beachten. Wenn wir sie hingegen ignorieren und uns von der Euphorie, den Ängsten, der Gier und der Panik anstecken lassen, sind wir oft selbst nicht besser als die Mehrheit Masse.

Liebe Anleger,

ich wünsche Ihnen auch weiterhin viele erfolgreiche Investments!

Bis zur nächsten spannenden Story,

Michael Seibold


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