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Lars Erichsen im Gespräch: 25 Jahre Börsenexpertise – Vom Newstrader zum Mentor

Influencer-Lifestyle Stephanie Traub 1.122 Leser

Hinweis der Redaktion: Es handelt sich bei diesem Interview um ein Transkript einer Videoaufnahme.


Hallo Lars, stell dich gerne einmal vor.


Also, ich mach es mal in Kurzform. Mein Name ist Lars Erichsen. Ich bin gerade in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden. Oder wie wir hier sagen: „Bergfest“. Seit 25 Jahren beschäftige ich mich mit der Börse. Dabei war der Startpunkt für mich jener Moment, als ich ein eigenes Depot eröffnet habe. Davor habe ich mich zwar auch für die Börse interessiert, aber das war eher so nebenbei und keine wirklich große Sache. Trotzdem kam es zu der Fügung, dass ich 15 Jahre lang ausschließlich Trader war, also mit Trading meinen Lebensunterhalt verdient habe.

Schließlich bin ich dann ab 2011 so ein bisschen „nach draußen“ gegangen. Das heißt, ich habe damit begonnen, einen Börsenbrief zu schreiben. Im Laufe der folgenden Jahre kamen dann zwei YouTube-Kanäle hinzu. Zum einen den YouTube-Kanal Erichsen und zum anderen den Kanal Tradermacher. Es gibt inzwischen auch einen Podcast mit den Namen Erichsen. Auf Instagram treibe ich mich ebenfalls herum, auch wenn es nicht meine allerliebste Plattform ist. Insofern bin ich heute sehr viel in Kontakt mit Anlegern, sowohl mit sehr aktiven als auch mit langfristigen Anlegern und das macht mir großen Spaß. 


Du hast deine vielen Kanäle, die du betreust, erwähnt. Bleibt da noch Zeit für mehr und steht aktuell ein weiteres Projekt an?


In unserem Vorgespräch hast du etwas angesprochen, dass genau auf mein neues Projekt abzielt: Und zwar die Schule. Geldanlage ist etwas, was eigentlich ziemlich einfach in der Schule schon vermittelt werden könnte. Dafür bräuchte man nicht mal ein eigenes Unterrichtsfach. Da würde eine Projektwoche, vielleicht sogar zwei Projekttage, reichen. Zumindest mal, um zu lernen, wie man einen ETF-Sparplan eröffnet und warum das auch sinnvoll ist. Und genau das ist ein Thema, das wir angehen möchten, weswegen ich gerade dabei bin, mit einem Kollegen ein Buch zu schreiben. Das soll in kompakter Form, also maximal in Spielfilmlänge, aufzeigen, wie man in das Thema Finanzen reinkommt, um wirklich all denjenigen, denen das Thema zu aufwändig oder kompliziert erscheint, einen schnellen und einfachen Einstieg zu ermöglichen. Jeder soll in Kurzform aufgezeigt bekommen, was er jetzt tun sollte.

Ich mache mal ein Beispiel. Stell dir vor, du wärst eine junge Mutter oder ein junger Vater und würdest direkt zur Geburt in einen ETF-Sparplan investieren, sagen wir mit dem Kindergeld. Und dabei müsste es nicht mal das komplette Kindergeld sein, denn derzeit haben es ja viele Familien sehr knapp. Aber das spielt keine Rolle, denn das ist das Schöne an ETFs: Nämlich, dass man schon mit einem geringen Budget, wie 15 oder 20 Euro pro Monat, einsteigen kann, welches dann über einen langen Zeitraum investiert wird. Da kann der Zins und Zinseszins wirklich wirken und insofern würde ich fast sagen, dass das eine Pflichtaufgabe für Eltern wäre. 

25 Jahre bist du schon im Börsengeschäft und willst auch mit deinem kommenden Buch beim Einstieg helfen. Kannst du uns schon einmal fünf

Toptipps in der aktuellen Marktsituation geben?


Es ist gar nicht so einfach, sich da zu begrenzen, aber ich würde mal sagen, dass die allererste Frage, die man sich selbst stellen muss, die folgende ist: Was bin ich eigentlich? Ich habe das Gefühl, dass gerade die Anleger, die in den letzten zwei Jahren dazugekommen sind, sich diese Frage nie gestellt haben. Bin ich ein langfristiger Investor? Bin ich Sparer oder möchte ich Trader sein? Das ist wichtig für sich selbst zu entscheiden. Ein Trader ist für mich jeder, der sagt, dass er eine Position kauft, um sie wieder zu verkaufen. Das macht der Investor zwar irgendwann auch, aber im besten Fall, sind bis dahin halt 30 oder 40 Jahre verstrichen, vorausgesetzt, dass er auf die richtigen ETFs oder die richtigen Unternehmen gesetzt hat. Beim Trader ist der Zeithorizont ein kürzerer und das sind zwei vollkommen unterschiedliche Disziplinen. Man könnte es mit Rückenschwimmen und Stabhochsprung vergleichen. Beides sind Sportwettkämpfe, aber mit komplett unterschiedlichen Regeln und das gilt fürs Trading und fürs Investieren auch. Deshalb muss man das erst einmal für sich entscheiden und herausfinden: Was bin ich und was möchte ich denn überhaupt sein?

Der zweite Tipp wäre, und das steht für Trader immer ganz oben: Verluste begrenzen. Es gibt nie irgendeine Situation, in der man sagen kann: Ich lass es mal laufen. Man kann das wie eine kleine Unternehmung betrachten. Nehmen wir als Beispiel ein Start-Up. Das würde man auch nicht irgendwie laufen lassen. Irgendwann erhält man seine BWAs oder seine Bilanzen und wenn man feststellt, dass es nicht gut läuft, muss man eben einschreiten. Das bedeutet, dass man Verluste auch aktiv realisiert, wenn Positionen gegen einen laufen, um sein Kapital zu schützen. Das gehört mit dazu.

Als nächstes wäre da vielleicht noch der Tipp, dass man dem Drang widersteht, sich antizyklisch zu verhalten. Also immer, wenn etwas fällt, dann will man gerne kaufen und immer, wenn etwas steigt, dann will man gerne verkaufen. Für einen Trader ist eigentlich das Gegenteil richtig: Stärke kaufen! Also auch in Korrekturen starke Aktien kaufen und Schwache verkaufen und eben nicht andersrum. Nicht die Werte kaufen, die 90 % gefallen sind in der Hoffnung, dass sie sich wieder vervielfachen. Das gilt insbesondere auch für diejenigen, die dann über Tage, Wochen oder Monate investiert sind. Langfristige Investoren dagegen dürfen ihre Aktien immer kaufen: Je schwächer, desto besser. Diese sollten daher auch solche Bärenmärkte, wie wir sie jetzt haben, begrüßen.

Dann wäre ein weiterer Punkt, dass man die Korrelation untereinander unbedingt beachtet. Das haben viele in den letzten zwei Jahren gemerkt. Wenn ich sage, ich bin nur in Zukunftswerte investiert oder ich setze im Trading nur auf Zukunftswerte, denn diese sollen jetzt steigen und mich möglichst schnell reich machen, dann habe ich das Problem, dass diese Werte alle gleichzeitig steigen und alle gleichzeitig fallen. Wenn man jetzt auf ein Depot blickt, welches 70 oder 80 % unter Wasser ist, dann weiß man, dass die Korrelation der Werte untereinander einfach viel zu hoch war. Da hätte ich mich auch auf einen oder zwei konzentrieren können und hätte nicht zehn kaufen müssen. Das ist wichtig und übrigens auch das Erfolgsgeheimnis von Ray Dalio. Er hat möglichst viele Anlagen im Depot, die nicht miteinander korrelieren.

Die fünfte Regel hebt etwas von dem, was ich vorher gesagt habe, auf. Denn im Bärenmarkt sind einige Dinge anders. Wir hatten 12 Jahre lang einen Aufwärtstrend. Im Grunde sogar ein bisschen länger, wenn wir den Corona-Crash heraus rechnen. Also seit Ende der Finanzkrise im Jahr 2008 ging es steil bergauf. Und Korrekturen im Aufwärtstrend sind etwas anderes als Bärenmärkte. Da darf man halt nicht immer wieder reingreifen, sondern muss am besten die Charttechnik erlernen. Strenggenommen habe ich damit gerade eine sechste Regel mit hineingemogelt, denn wer Traden möchte, kommt gar nicht daran vorbei, die Analyse von Charttechniken zu erlernen.

Was würdest du sagen, war dein größter Erfolg in den letzten 25 Jahren?


Im Grunde ist es gar nicht so einfach mit einem Börsianer zusammen zu sein. Daher würde ich es als meinen größten Erfolg bezeichnen, dass ich es in den letzten 22 Jahren geschafft habe, meine Ehe nicht zu verkacken und nach wie vor mit meiner Frau verheiratet zu sein. Gerade in den Anfangsjahren, als ich noch im aktiven Handel gewesen bin, war so ein Zusammenleben sicherlich nicht immer einfach gewesen. Denn man wohnt mit jemandem zusammen, der eine ganze Menge Adrenalin in seinem Körper hat und abends nicht immer so abschalten kann. Daher ist meine Ehe mein größter Erfolg.

So Einzelsituationen im Trading hatte ich jetzt keine besonderen, die nennenswert sind. Man hat Tausende und Zigtausende von Trades. Da bleibt am Ende des Tages gar nicht so viel übrig, wo ich jetzt sage, das war nun besonders großartig. Es gibt schon Momente, an die ich mich erinnere. Einmal habe ich richtig viel Geld verloren, als die kleine Porsche versucht hat, VW zu übernehmen. Der Kurs ist durch Optionsgeschäfte in Richtung 1.000 Euro gestiegen und das hatte mich damals sehr viel Geld gekostet. Aber es ist schon viele Jahre her.

Selbst die größte Erfahrung schützt einen nicht davor, wenn Dinge passieren, die noch nie vorher passiert sind. Somit ist es auch ein Erfolg, wenn man sich mental da wieder rauszieht, die Sache nach einigen Wochen abhakt und sich auf die Zukunft konzentriert. Der eigentliche Erfolg ist aber nach wie vor, wie bereits erwähnt, meine Ehe. Der Rest verschwindet so ein wenig dahinter.


Genau, du warst ja aktiver Trader. Wie sah dein Tag aus und warum bist du aus dem Trading ausgestiegen?


Es gab eine Zeit, Ende der 90er, da war es durchaus interessant, die asiatischen Märkte, also Thailand und Japan zu handeln. Das waren ungefähr sieben bis acht Jahre, in denen ich täglich um fünf Uhr aufgestanden bin, mich in den Markt eingelesen und dann den ganzen Tag gehandelt habe, bis ich abends ziemlich erschöpft war. Meine Frau hatte zu der Zeit unsere Tochter geboren und da war für mich klar: Ich kann nicht zu Hause sitzen und den Job im Homeoffice machen, sondern ich benötige eine räumliche Distanz. Sonst rennt man jeden Abend nochmal an den Rechner und schaut nach den Kursen und News. Im Büro war das schon schlimm genug, auch wenn ich es freiwillig und sogar mit sehr viel Spaß gemacht habe. Dennoch ist Trading nicht immer ganz familienverträglich. Man verdient wie ein selbständiger Mann nur dann Geld, wenn man arbeitet und wenn man eine Woche frei macht oder sogar zwei, dann kribbelt es schon ganz schön in den Fingern. Man möchte wieder weitermachen, denn man befürchtet stets, etwas zu verpassen.

Nach den vielen intensiven Jahren habe ich mit regulären Arbeitszeiten angefangen. So arbeite ich etwa von 07:30 Uhr bis 16:00 Uhr. Irgendwann wird eben auch alles Routine und nach so einer langen Zeit hat man jeden Trade schon mal gemacht und jede Strategie schon mal angewendet. Der Handel wird in all den Jahren immer profitabler, aber es kommt trotzdem nicht mehr viel Neues dazu. So kam für mich dann der Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich mich mit anderen Dingen beschäftigen möchte.

Zudem spielen dann auch irgendwann körperliche Faktoren mit hinein. Also zumindest bei mir war es so. Es gibt sicherlich auch Leute, die ganz einfach abschalten können. Mir gingen die vielen Jahre als aktiver Trader schon an die Substanz, denn ich konnte damals selbst in den freien Zeiten nicht richtig gut abschalten und habe nachts eher dürftig geschlafen. Es war auch tatsächlich die Art der Arbeit, die für mich zum Schluss hin, zu eintönig geworden ist. Daher hatte ich dann den Entschluss gefasst, aus dem aktiven Trading auszusteigen und Neues zu probieren.

Welche Strategie hattest du als Trader gehandelt?


Ich habe Newstrading betrieben und das im Prinzip auch die ganze Zeit über. Später habe ich noch ein paar Trades auf Positionsbasis über ein paar Tage hinweg gehalten. Der Großteil war aber wirklich Newstrading, zu Deutsch: man reagiert auf Nachrichten. Das ist jedoch nicht so, wie sich das viele vielleicht vorstellen, so nach dem Motto: Da kommt die Nachricht rein und dann weiß ich, welche Aktie ich kaufen oder verkaufen muss. Es geht eigentlich immer um den gegenteiligen Standpunkt. Es wird eine Nachricht zu einer Aktie veröffentlicht und die Aktie reagiert innerhalb von Sekundenbruchteilen. Man muss somit als Newstrader schnell entscheiden, ob das eine zu starke Reaktion für diese News war oder ob diese News vielleicht noch viel mehr wert wäre. Newstrading ist ein diskretionärer Handel. Ein Handel, der auf viel Erfahrung basiert. In den Anfangsjahren gab es zudem die Möglichkeit, relativ viel zwischen ausländischen Börsen zu arbitrieren, insbesondere den amerikanischen Börsenplätzen und deutschen Börsen. Ich mache mal ein einfaches Beispiel: Mitten im Entstehen der Dotcom-Blase, also so in den Jahren 1999 und 2000 gab es einen Aktienhypeabend. Da hatte Thomas Gottschalk oder vielleicht war es auch Harald Schmidt, das weiß ich nicht mehr genau, in seiner Show gesagt, dass er eine spezielle Aktie interessant findet. Am nächsten Morgen ging die Aktie in Deutschland durch die Decke, obwohl der Kurs einer amerikanischen Aktie zu 100 % aufgrund des Volumens in den USA gemacht wird. Dann hatte man die Möglichkeit die Übertreibung am deutschen Börsenplatz auszunutzen. Bei solchen Übertreibungen kann man davon ausgehen, dass die Aktie nach ein paar Stunden wieder ausgeglichen sein wird. Daher shortet man die Aktie und kauft sie später dann billig zurück. Das waren so die wesentlichen Dinge, die mich täglich begleitet haben. Man hat also den ganzen Tag auf den Bloomberg-Ticker geschaut und Nachricht für Nachricht gelesen. 

Muss man denn unglaublich viel Wissen über Branchen und Unternehmen aufbauen, um gut traden zu können?


Also wenn man das wie ein psychologisches Profil betrachten würde, dann kennt man immer die äußere Hülle. Man weiß also, wie stark diese Aktie beispielsweise auf ein Upgrade oder auf ein Downgrade reagiert. Weiterhin kommt es noch einmal sehr darauf an, wer das Downgrade ausgesprochen hat. Wenn das ein JP Morgan oder Goldman Sachs ausgesprochen hat, hat das wahrscheinlich die stärkste Wirkung, zumindest mal bei amerikanischen Aktien. Dann gibt es eine 2. Reihe und eine 3. Reihe und dementsprechend reagieren dann die Aktien. Das sind so Sachen, die eigentlich oberflächlich sind. Wie dann tatsächlich derzeit die Bilanz von dem Unternehmen aussieht, interessiert erst einmal nicht, sondern einzig und allein das Preisverhalten der Aktie. Man ist also recht breit aufgestellt und man kriegt praktisch jede Nachricht mit. Da macht es schon gar keinen Spaß mehr Zeitung zu lesen, weil man halt in Realtime alle dpa-Nachrichten gelesen hat, die dann am nächsten Tag in der Zeitung verarbeitet werden. Wer besonders viel Spaß daran empfindet, Zeitungen oder die Sonntagszeitung zu lesen, der sollte kein Newstrading betreiben. Es ist also ein schneller Handel und man muss Lust haben, sich relativ breit aufzustellen.

Was ich dazu sagen muss ist, dass ich es heute niemandem raten würde, unbedingt mit Newstrading zu beginnen, da die Märkte noch viel schneller und viel effizienter geworden sind. Es gibt mittlerweile auch KI, also künstliche Intelligenz, die diese Nachrichten verarbeiten und es gibt Algorithmen, die diese Preisunterschiede ausnutzen. Das war vor 20 Jahren alles noch anders. Also wer heute Lust hat, viel Zeit aufzuwenden, der beginnt erst einmal mit der Markttechnik.

Hast du dir dein Wissen selbst angeeignet oder hattest du einen Mentor?


Bei mir begann alles recht zufällig. Ich habe während meines Studiums Tennistraining gegeben. Eines Tages habe ich im Flensburger Tageblatt den Aktienkursteil gelesen. Der hatte mich eigentlich sonst nie interessiert. Aber an diesem Tag bin ich irgendwie daran hängen geblieben und habe gesehen, dass die Allianz-Aktie zum Vortag eine Differenz von 5 DM hatte. Ich habe damals für die Stunde Tennistraining 30 DM verdient. Das war richtig viel Geld. Ich dachte dann aber, wenn ich genug von der Allianz-Aktie kaufe und das richtig mache, dann brauche ich nicht mehr in der Sonne zu stehen und Tennisbälle zu schlagen. So kam es dazu, dass ich mich zum ersten Mal ein wenig mit dem Aktienhandel beschäftigt habe. Zu der Zeit gab es nur leider sehr wenige Informationsquellen.

Im Studium hatte uns dann unser Professor für Finanzierung und Investitionen seine Börsengeschichten erzählt und das war dann der eigentliche Start. Mein Professor hatte vermutlich gar nicht die Absicht gehabt, uns alle zu Börsianern zu machen. Er fand nur selbst seinen Stoff nicht so spannend und dafür seine eigenen Börsenstories umso mehr, sodass er uns alle recht schnell für die Börse begeistern konnte. So hat sich das dann langsam immer mehr entwickelt.

Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass ich mir das alles selbst beigebracht habe. Ich schätze, ich hätte meinen Weg schneller gehen können, wenn ich jemanden gehabt hätte, der mich in die Welt einführt und mir alles zeigt. Aber ich bereue es nicht wirklich, den Weg allein gegangen zu sein, denn so habe ich natürlich unglaublich viele Erfahrungen gemacht, die eine ganze Menge wert sind. Ich habe auch vermutlich jeden Fehler gemacht, den man machen kann, aber deswegen nur wenige auch ein zweites Mal wiederholt. Heute gibt es Möglichkeiten, sich in diesem Bereich ausbilden zu lassen. Ich glaube aber dennoch, dass man seine eigenen Erfahrungen machen muss und dass man sich auch die Zeit geben sollte, diese Erfahrungen zu machen. Am besten wäre eine Kombination aus dem Sammeln von eigenen Erfahrungen und dem Zuhören, was andere gemacht haben und wie sie es machen. Es gibt heute sogar wahnsinnig viele kostenlose Informationen. Ich würde daher raten, wenn möglich alles aufzusaugen und dann zu versuchen, sich ein eigenes Bild zu machen und seinen eigenen Standpunkt zu formulieren. 

Du bist nun aktiver Anleger. Welche Anlagestrategie fährst du in der jetzigen Situation?


An sich habe ich eine langfristige Anlagestrategie und fahre diese auch gemeinsam mit meinen Lesern. Wir nennen das Zukunftsdepot bei den Rendite-Spezialisten. Das heißt also, wir investieren monatlich immer weiter in die gleichen Aktien, kaufen da unsere Tranchen und gerade im Bärenmarkt ist das interessant, weil man die Aktien billiger bekommt. Im aktiven Handel gibt es keine spezielle Strategie, aber wir sind aktuell im Bärenmarkt und der hat seine eigenen Gesetze. Meines Erachtens sind die Punkte, an denen man hier reingehen kann, nicht ganz klar definiert. Es gibt zwar genaue Statistiken darüber, ab wann man in einer Rezession bestenfalls kauft. Wenn man das genau machen möchte, müsste man aber wissen, wie lange die Rezession dauert. Das ist natürlich ein bisschen schwierig, aber in Schwächephasen, die so lange andauern wie die jetzige, kann man durchaus antizyklisch Positionen aufbauen. Man muss sich nur fragen, was den Markt jetzt noch schocken könnte. Alle Nachrichten, die wir kennen, wie zum Beispiel die Inflation oder die steigenden Zinsen, sind in den aktuellen Kursen enthalten. Wenn man zur Erkenntnis gelangt ist, dass es vielleicht nicht mehr viel geben könnte, was den Markt jetzt noch schocken könnte, dann ist das oft die Grundlage auch innerhalb des Bärenmarktes für Zwischenrallys. Und Rallys im Bärenmarkt sind dann häufig ganz besonders ausgeprägt. Insofern kann man im aktiven Handel auch im Bärenmarkt eine ordentliche Rendite erzielen.


Wie schätzt du die Marktentwicklung bis Ende des Jahres ein? Müssen wir weiterhin mit fallenden Kursen rechnen?


Das weiß ich nicht. Ich glaube, dass wir eine Rally sehen werden, die zwischen 10 und 20 % liegt, also relativ deutlich ausfallen könnte. Ob das dann das Ende des Bärenmarktes ist, wird man sehen. Goldman Sachs hat gesagt, wir hätten einen zyklischen Bärenmarkt. Das würde bedeuten, er würde sechs bis neun Monate dauern. Somit hätten wir das meiste schon geschafft. Letztlich ist das aber schwierig zu sagen, denn es ist unklar, wann sich die Umstände (COVID-Strategie in China, der Krieg in der Ukraine oder auch die Lieferverzögerungen), die uns gerade in diese Rezession, beziehungsweise in den Bärenmarkt geführt haben, auflösen. Wenn man vom aktuellen Stand ausgeht, kann das durchaus noch etwas länger gehen. Also ob die nächste Rally das Ende des Bärenmarktes ist, weiß ich nicht, aber dass wir bis Herbst eine Rally sehen werden, davon gehe ich persönlich aus. 

Wie schätzt du die jetzige Zentralbankpolitik ein? Wird man die Inflation in den kommenden zwei Jahren wieder unter Kontrolle bringen können?


Das glaube ich auf jeden Fall. Wahrscheinlich werden die drei oder vier Prozent die neuen “zwei Prozent“ sein. Also man wird sagen, wir haben so lange keine Inflation gehabt, dann können wir jetzt auch mal eine etwas höhere Inflation vertragen. Es spricht meines Erachtens wenig dafür, dass wir das Problem mit acht oder neun Prozent Inflation über einen langen Zeitraum haben werden. Ich glaube allerdings auch nicht, dass wir wieder auf die deflationären Zeiten zurückkehren. Dafür haben sich die Umstände zu sehr geändert. Insbesondere die Umstände hinsichtlich der Energiepolitik, denn die wird nachhaltiger werden. Daher denke ich, dass wir innerhalb der nächsten acht bis zehn Monate in einen normalen Korridor zwischen zwei bis vier Prozent zurückkehren werden.

Was würdest du langfristigen Investoren empfehlen? Sollte man die Buy&Hold Strategie anpassen oder gewisse Branchen übergewichten?


Ich glaube, in einem langfristigen Depot sollten sowieso die Branchen möglichst zahlreich vertreten sein. Für mich ist beim Kauf von Einzelaktien entscheidend, ob ich Marktführer finde, die ich auch kaufen und über Jahre oder Jahrzehnte im Depot halten möchte. Ich glaube, die meisten langfristigen Depots sind im besten Fall einigermaßen konservativ aufgestellt.

Es gibt meines Erachtens sehr interessante Branchen, wie zum Beispiel erneuerbare Energien. Die Idee ist nicht neu, dass in Green Energy viel Geld fließt, aber ich denke hier könnte wirklich die nächste Blasenbildung stattfinden. Das Geld strömt von überall in diese Branche rein, das merkt man nur während des Bärenmarktes nicht. Deswegen ist es besonders interessant, sich jetzt damit vertraut zu machen und zu schauen, welche Unternehmen davon profitieren könnten. Am Ende bleibt das jedoch eine Spekulation.

Ich selbst habe an mein langfristiges Portfolio den Anspruch, dass dort Unternehmen drin sind, die seit Jahren Geld verdienen und auch gut und gestärkt durch die Krise kommen, auch wenn der Gewinn mal stagniert. Es ist für mich auch völlig in Ordnung, wenn die Dividende mal nicht erhöht wird, solange in meinem Depot gesunde Unternehmen enthalten sind. Daher ist alles andere, also auch neue Branchen, für mich eher ein spekulativer Ansatz, den man durchaus umsetzen darf, aber eben mit anderen Regeln. Für mich heißt das, ich muss Stopps setzen. 

Du hast gerade Green Energy erwähnt. Kannst du uns noch weitere Branchentrends für die kommenden zehn Jahre nennen?


Also ich würde zuerst zwei Branchen nennen. Bei der ersten bin ich fast schon traurig, das überhaupt erwähnen zu müssen, denn dabei handelt es sich um die Rüstungsbranche. Ich denke aber in den nächsten Jahren wird diese noch eine ganz große Rolle spielen. Ich bin da persönlich nicht investiert und würde auch nie jemandem vorschreiben, wo er investieren soll oder nicht. Ich glaube jedoch, dass in dieser Branche noch eine ganze Menge passieren wird.

Die zweite Branche wäre die Cybersicherheit. Das ist unfassbar, denn es wurden bereits Hunderte von Milliarden Euro an Schäden gemeldet, die allein in den letzten beiden Jahren entstanden sind. Ich bin mir sicher, viele Mittelständler sparen es sich, Schäden einem Verband zu melden, um nicht irgendwelche Nachahmereffekte zu erzeugen. Daher denke ich, dass die Branche rund um Cybersicherheit sehr interessant ist. Wenn man so will, alles rund um den Begriff Sicherheit. 

Ich glaube auch Commodities, also Rohstoffe sind in einem super Zyklus. Ein weiterer interessanter Bereich wäre für mich auch die Energieversorgung, hier insbesondere die Leitungsindustrie. Wir haben regional das Problem, dass wir nicht genügend Leitungen haben, aber das Prinzip ist ein weltweites Problem und das Bedarf wiederum so viel Infrastruktur, dass davon auch die Rohstoffproduzenten profitieren werden.

Gibt es eine Aktie, die du gerne schon seit 10 Jahren im Depot gehabt hättest?


Das ist der Nachteil beim Trading. Man hat jede Aktie schon einmal besessen und denkt sich dann im Nachhinein, man hätte es besser mal behalten sollen. Ich kann leider keine Exotische nennen. Es gibt allerdings ein paar Aktien, bei denen ich jetzt im Nachhinein sagen kann, die hätte ich mal lieber nicht so lange im Depot lassen sollen. Aber ansonsten habe ich alle Aktien schon einmal im Depot gehabt, bevor sie groß geworden sind. Wenn ich daran denke, dass ich eine Amazon-Aktie im einstelligen Bereich gekauft und sie dann aber wieder verkauft habe, weil ich dachte, 20 % wären super. Ich hätte sie einfach alle behalten können.

Die allererste Aktie, mit der ich begonnen habe oder aufgrund derer ich mich überhaupt in den aktiven Handel gewagt habe hieß High Speed Net Solutions. Das klingt schon wie Betrug. Ich weiß nicht, ob es Betrug war, aber High Speed Net Solutions klingt eher nach einem Schulprojekt, bei dem der Name frei wählbar war. Ich hatte die Aktie während des Dotcom-Hypes gekauft. Die ging erst sehr gut und dann ganz schlecht; sehr schlecht sogar. Das werde ich sicherlich nie vergessen. Die hätte ich dann mal verkaufen sollen. Von meinen hundert Prozent waren am Ende noch knapp zehn Prozent übrig.

Zum Abschluss noch eine Frage: Wenn du die Wahl hättest, mit wem würdest du lieber einen Kaffee trinken gehen, Warren Buffet oder Peter Lynch?


Ich würde aus zweierlei Gründen lieber mit Peter Lynch einen Kaffee trinken. Weil ich glaube, dass das Gespräch schnell vorbei wäre, aber auch weil Warren Buffett, soweit ich weiß, keinen Kaffee trinkt, sondern nur koffeinhaltige Cola. Ich schätze auch, dass man von Warren Buffett inzwischen so ziemlich alles gehört hat, was er uns zu sagen hatte, obgleich es natürlich sehr viel Gehalt mit sich gebracht hat, keine Frage. Ich meine gelesen zu haben, dass Peter Lynch mit seiner Karriere als Caddy auf dem Golfplatz angefangen und dort die Schönen und Reichen der Fondsgesellschaften kennengelernt und sich um eine Praktikantenstelle bemüht hatte. Ich glaube sogar, dass er bei Fidelity angefangen hatte, da bin ich mir jetzt aber nicht ganz sicher. Ich geh jedenfalls davon aus, dass er gerne Golf spielt, wenn er als Caddy angefangen hatte. Da ich nur 500 Meter vom Golfplatz entfernt wohne und selbst gerne spiele, würde ich ihn einfach einladen.

Wer weiß, wem du in Zukunft so auf dem Golfplatz begegnen wirst. Vielen Dank Lars für die tiefen Einblicke und ausführlichen Erklärungen. Wir wünschen dir weiterhin alles Gute!