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12 Anleger-Fehler im Wirecard-Skandal (Gastartikel von Maik Thielen)

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Liebe Leser,

der Wirecard-Skandal erschüttert Experten und Börsianer gleichermaßen. Die Suche nach dem Schuldigen geht los. Doch für jeden Anleger, der die Aktie seit spätestens Ende 2018 im Depot hat oder hatte und mitunter riesen Verluste gemacht hat, darf es nur einen Schuldigen geben.

Der Wirecard-Skandal deckt vieles auf. Vor allem auch die Fehler, die Anleger gemacht haben. Und das sind einige. Hier liste ich einige wichtige Fehler auf, die begangen worden sind, und die in Zukunft vermieden werden müssen! Wer aus diesem Skandal nichts lernen kann oder will, hat an der Börse nichts zu suchen. Mir geht es darum, solche Fehler, die immer wieder passieren, bewusst zu machen und zum Nachdenken zu bewegen. Sonst lauert die nächste Wirecard schon irgendwo…

Fehler Nummer 1: Keine Verantwortung übernehmen

Die Suche nach dem Schuldigen hat begonnen. Ist es der Ex-CEO Braun? Der Aufsichtsrat, der seiner Kontrollfunktion nicht nachgekommen ist? Die Wirtschaftsprüfer EY, die die Jahre zuvor laut öffentlicher Meinung „alles durchgewunken“ haben? Der ominöse Treuhänder?

Völlig egal! Für den Selbstentscheider, der die Aktie gekauft und in sein Depot gelegt hat, darf es nur einen Schuldigen geben: Der Anleger selbst! Er hat die Entscheidung getroffen, die Aktie trotz diverser Meldungen von Zeitungen (Financial Times), Hedgefonds und zuletzt Wirtschaftsprüfern (KPMG & EY) entweder a) zu kaufen oder b) im Depot zu belassen.

Die Informationen lagen lange auf dem Tisch und von Seiten Wirecards gab es nur diverse substanz- und beleglose Dementis.

Als Anleger darf man die Schuld nun nicht bei anderen suchen. Man selbst ist der Schuldige für einen möglicherweise katastrophalen Verlust.

Fehler Nummer 2: Die „Liebe“ zu einer Aktie

Wirecard war der Liebling der deutschen Anleger. In den letzten Jahren war Wirecard in den Statistiken der Broker die meistgekaufte Aktie. Verliebe Dich nie in eine Aktie! Suche die Liebe lieber in Deinem Privatleben. An der Börse ist Liebe nur einseitig – von Privatanleger für ein Unternehmen und niemals umgekehrt. Aktien können das Wohlwollen der Anleger erkaufen: Durch Kurssteigerungen und Dividenden. Beim Thema „Erkaufen“ sind wir aber nicht bei der Liebe, sondern eher bei der Prostitution… ?

Wirecard hat seit September 2018 nichts davon den Anlegern gegeben. Keine neuen Hochs. Die Dividenden waren mickrig.

Als Anleger muss man objektiv bleiben. Keine Lieblinge haben, sonst kann das im Desaster enden. Dies führt uns zum nächsten Fehler…

Fehler Nummer 3: Selektives Wahrnehmen und Selektives Entscheiden

Genau diese Objektivität ist mindestens bei unbedarften Anlegern häufig dann dahin, wenn eine Aktie im Depot ist. Man hat sich also einmal für eine Aktie entschieden und es soll ja auch eine gute Entscheidung gewesen sein. Man selbst trifft doch keine schlechten oder falschen Entscheidungen! Oder? ?

Und so kommt es, wie es kommen muss: Man nimmt nur noch die Informationen wahr, die für das Investment sprechen. Nach dem Motto: „Ach guck mal: 'Herr Depp' vom 'Aktionärsmagazin' spricht in seiner Videoanalyse von 1.000 Euro Kursziel! Ui, was mache ich mit dem ganzen Geld?!?!“

Und auf der anderen Seite: „Waaaasss? Die Financial Times nimmt meine Wirecard aufs Korn? Bilanzungereimtheiten? Was ist das denn für ein Bullshit??? Diese Verbrecher von der FT! … Ach guck, da kommt das Statement von der Wirecard, das sie entlastet. Zitat: ‚Das stimmt so nicht.‘ Siehste, alles gut. Jetzt kauf ich nach!“

Beim selektiven Wahrnehmen gewichtet man (unterbewusst) die Informationen über, die für die eigene ursprüngliche Kaufentscheidung sprechen und diejenigen Informationen unter, die dagegensprechen. Beim selektiven Entscheiden wird sich entsprechend verhalten: Nachkaufen (psychologisch als Überlebensinstinkt „kämpfen“) oder einfach drinbleiben („sich totstellen“). Verkauft wird nicht, denn dann müsste man sich einen Fehler eingestehen…

Fehler Nummer 4: Sich keine Fehler eingestehen können

Gesellschaftlich sind Fehler verpönt. Für Fehler wird man bestraft, ausgelacht oder einem wird das Vertrauen entzogen, man wird als Versager bezeichnet. Dies überträgt man auf die Börse. Ein Investment im Verlust zu verkaufen, wäre genauso, wie sich einen Fehler einzugestehen. Also tut man alles, damit der Fehlerfall nicht eintritt. Dies hängt auch mit Fehler Nummer 3 und den weiteren noch kommenden Fehlern zusammen. Damit eine verlustreiche Aktie schnell wieder in den Gewinn kommt, wird häufig ein weiteres „Teufelswerkzeug“ genommen – Fehler Nummer 5…

Aber Fehler machen ist gut! Fehler helfen uns, besser zu werden. Wenn alles immer gut ausgeht, lernt man nichts dazu. Aus seinen Fehlern zu lernen heißt aber auch, lernwillig zu sein und sich die richtigen Fragen zu stellen und unangenehme Antworten zu geben.

Bei Männern ist dieser Fehler übrigens ausgeprägter als bei Frauen… ?

Fehler Nummer 5: Verbilligen oder ins fallende Messer greifen

Damit ein scheiterndes Investment doch noch in den Gewinn läuft, vertrauen viele Privatanleger auf eine Strategie, die allerdings ebenso wenig gewinnbringend ist, wenn man sie nicht intelligent einsetzt: Das Verbilligen. Hierbei kauft man Aktien, die bei einem im Minus stehen, nochmal nach. Der Effekt, den sich viele einreden: „Dadurch bin ich viel schneller wieder bei Break-Even oder sogar im Gewinn! Wenn ich die Aktie XY, die ich bei 100 gekauft habe, bei 50 nachkaufe und damit die Stückzahl verdoppele, muss sie ja nur auf 75 steigen, damit ich wieder auf +/- 0 komme!“ Dabei außer Acht gelassen, weil es einem nicht bewusst ist, sind Fehler Nummer 3 und Nummer 4. Dadurch werden die schlechten Punkte vernachlässigt bzw. ignoriert: 1. Die Aktie ist im Fallen inbegriffen: Es ist wahrscheinlicher, dass sich ein Trend (in dem Falle Abwärtstrend) fortsetzt, als dass er bricht. 2. Das Verlustrisiko wird erhöht und ist dadurch viel zu hoch. Durch Fehler Nummer 4, ignoriert man dies aber häufig als nicht erfolgreicher Anleger, weil man selbst ja keine Fehler macht… ?

Profis nutzen entweder intelligentes Verbilligen (das maximale Verlustrisiko wird zu Beginn nicht ausgeschöpft, sodass noch Spielraum besteht, um nachzukaufen). Der Profi hat aber auch eine Strategie und einen genauen Plan und er weiß ganz genau, dass er nicht „am Tief“ eingekauft hat und baut somit das intelligente Verbilligen in seine Strategie ein.

Oder aber der Profi kauft im Gewinnfall nach und „pyramidisiert“. Er / Sie macht gute Trades / Investments noch werthaltiger, anstatt schlechte Trades / Investments risikoreicher.

Fehler Nummer 6: Der Dispositionseffekt

Einhergehend mit den vorherigen Fehlern ist der sogenannte Dispositionseffekt. Der Anleger freut sich beispielsweise zwar über 1.000 Euro Gewinn, aber über den doppelten Gewinn ist die Freude nicht mehr doppelt so groß. Auf der anderen Seite ärgert er oder sie sich über die ersten 1.000 Euro Verlust zwar, aber über den doppelten Verlust eben auch nicht doppelt so viel. Das führt dazu, dass der nicht erfolgreiche PrivatanlegerInnen Gewinne schnell begrenzt und entsprechend mitnimmt. Verluste aber laufen lässt, da es dem PrivatanlegerInnen irgendwann „egal“ ist und das Prinzip Hoffnung Einzug hält. Dies führt häufig auch dazu, dass Fehler Nummer 7 ebenso schlecht ist:

Fehler Nummer 7: Der Ankereffekt

Der Ankereffekt tritt bei jedem Trade oder Investment erstmal auf. Der Anker ist der Einstiegskurs. Dieser Einstieg wird von PrivatanlegerInnenn zu wichtig genommen. Auf dem ersten Blick natürlich verständlicherweise, da dieser Einstieg über Wohl und Wehe der Position entscheidet. Wenn der Kurswert sich verändert, ist man natürlich entweder im Plus oder Minus. Aber eins sollte man sich bewusst machen: Jedem anderen außer einem selbst, ist Dein Einstiegskurs sch…egal! Es interessiert den Nachbarn nicht, es interessiert Warren Buffett nicht, es interessiert den ntv-Moderator nicht, es interessiert den CEO eines Unternehmens nicht und es interessiert den Short-Seller nicht, wo Du eingestiegen bist! Insofern ist Dein Anker, Dein alleiniger Anker. Dem Einstieg wird daher oft zu viel Bedeutung beigemessen, dem Ausstieg aber zu wenig (siehe vorherige Fehler „Verbilligen“, „sich keine Fehler eingestehen können“, „Dispositionseffekt“). Der Anker führt dann zu weiteren psychologischen Fallstricken. Einmal im Verlust, wird dann darauf gewartet, dass man wieder bei +/-0 ist, um auszusteigen. Sollte dies irgendwann mal passiert sein, ärgert man sich häufig, beim Anker wieder ausgestiegen zu sein und die Aktie läuft weiter hoch… Noch schlimmer ist es, eine Position im Verlust zu verkaufen und kurz danach wieder zu kaufen, damit das Minus nicht mehr da steht...

Fehler Nummer 8: Sich auf andere verlassen; Tipps holen, ohne zu hinterfragen.

Viele Menschen wollen an der Börse (viel) Geld verdienen. Die wenigsten schaffen es. Aus mehreren Gründen. Mit wenig Aufwand lässt sich eine durchschnittliche Rendite von 10 % p.a. verdienen. Einfach einen ETF auf den MSCI World kaufen oder besparen und laufen lassen. Die Zeit spielt für den AnlegerInnen. Es gibt aber Menschen, die mehr wollen als das. Viele sind jedoch zu bequem, um das Nötige dafür zu tun. Also hören sie auf sogenannte Experten – häufig genug, ohne dies zu hinterfragen. Redakteure und Journalisten von Fachmagazinen haben mitunter aber ebenso wenig Hintergrundwissen, wie man selbst oder sie erliegen den gleichen o. g. Fehlern. Die Schreiberlinge bekommen aber kein Geld dafür, dass Dein Investment erfolgreich wird. Sie bekommen Geld dafür, dass sie schreiben und Auflage produzieren. Also gibt es Headlines wie: „1.000 % in nur 4 Wochen – die nächste Aktie steht in den Startlöchern“ oder „Die 600 % Strategie – ohne großen Aufwand“.

Und selbst wenn man einen guten Experten gefunden hat, der für Rendite sorgt, hat man ein Dilemma: Häufig hält man sich nicht genau an die Tipps und Empfehlungen, was Rendite kostet. Wenn der Experte seinen Dienst einstellt, sitzt man da und hat selbst keine Ideen und ist auf der Suche nach dem nächsten Experten. Vielleicht findet man einen, vielleicht aber auch nicht. Der Weg dorthin ist aber meist ebenso kostspielig.

Wenn man einen erfolgreichen Experten hat, sollte man versuchen, so viel wie möglich zu lernen und für sich zu adaptieren, also nicht nur stupide genau das gleiche zu tun, sondern auch zu hinterfragen, warum etwas gemacht wird. Der Experte sollte seine Entscheidungen immer begründen.

Am meisten lernt man jedoch, wenn man seine eigenen Fehler macht und Verantwortung dafür übernimmt (siehe Fehler 1). Sonst läuft man auch hier Gefahr, anderen die Schuld für die Verluste zu geben. Dann ist der Lerneffekt gleich null.

Fehler Nummer 9: Buchverluste

Um Griffe ins Klo schönzureden, wird häufig der Ausspruch genommen: „Das sind nur Buchverluste. Es sind erst dann richtige Verluste, wenn sie realisiert sind.“ Das ist jedoch mit der größte Bullshit, den sich Anleger/-Innen selbst einreden und dabei alle der o. g. Fehler und von Fehler Nummer 11 in einem einzigen Ausspruch offenbaren. Verluste sind da, wenn man sie sieht. Realisiert oder unrealisiert spielt dabei keine Rolle. Das sorgt häufig nur dafür, dass es „Depotleichen“ gibt.
Lieber die übrig gebliebene Kohle in ein besseres Investment investieren und das Geld FÜR sich und nicht GEGEN sich arbeiten lassen

Fehler Nummer 10: Sich auf Verlierer konzentrieren, günstige Aktien mit billigen verwechseln

Die Wirecard befindet sich seit ihrem Allzeithoch im Jahr 2018 in einem Abwärtstrend. 2019, als der DAX eine Rendite von über 25 % gemacht hat, hinkte Wirecard der Kursentwicklung deutlich hinterher. Die Gewinner waren andere Aktien. In Deutschland zum Beispiel die Varta mit einer Kursentwicklung 2019 von über 300 %. Die Varta tauchte jedoch nie nachhaltig in der Top-Käufe-Liste auf. Des „Anlegers Liebling“ war jedoch die Wirecard. Sie sah auf den ersten Blick günstig aus. Neue Vorwürfe zu Bilanzungereimtheiten gab es jedoch schon seit 2018. Auch vorher gab es schon solche Vorwürfe. Anleger/-Innen haben zu sehr darauf vertraut, dass das schon nicht stimmt. Für mich persönlich sind solche Aktien mit solchen News jedoch nie günstig. Ich spreche hier gerne von „billig“ – jedoch nur im schlechten Sinne. Und nicht von Schnäppchen. Auch günstige KGV-Bewertungen bei anderen Aktien, lassen Anleger/-Innen immer wieder von großen Schnäppchen träumen. Manchmal gehen solche Träumereien auch teilweise auf. Häufig genug jedoch nicht.

Fehler Nummer 11: Keinen Plan haben

Die meisten Anleger/-Innen und Trader haben keinen Plan. Häufig beschäftigen sie sich (meist kurz) mit dem Einstieg – und das wars. Der Rest „wird schon“. Man braucht aber einen Plan von A – Z schon vor dem Einstieg, denn sonst treten alle o. g. Fehler auf. Ohne Plan kein Erfolg. Der Plan beschäftigt sich nicht nur mit dem Einstieg. Er beschäftigt sich mit dem Ausstieg, mit dem Risiko. Er beschäftigt sich mit den Zielen, er beschäftigt sich mit der Dauer, er beschäftigt sich mit der Kontrolle der Position. Dabei ist es unerheblich, ob man fundamentale (qualitative) oder technische (quantitative) Kriterien für Ein- und Ausstiege hat. Man muss jederzeit seine Grenzen (z. B. Verlustrisiko) kennen. Wer sich nur halbherzig damit beschäftigt, hat schon verloren. Wenn ich einen Plan habe, dann weiß ich auch, wie hoch die „Buchverluste“ sein dürfen, bevor ich sie realisieren muss…

Natürlich ist ein Plan nicht perfekt und auch innerhalb der Umsetzung eines Plans passieren Fehler oder der Plan selbst ist fehlerhaft. Gerade in den Anfängen einer Trading- / Investmentkarriere werden Pläne fehleranfällig sein. Dieser muss als lebendes Werk betrachtet werden, der angepasst werden muss, aber nicht überoptimiert. Dies ist jedoch ein Thema für sich und würde hier zu weit führen.

Fehler Nummer 12: Keine Kontrolle

Dadurch, dass vielen Menschen Fehler und Verluste unangenehm sind, bleibt dies häufig aus: Transaktionen rück betrachten, kontrollieren, was und warum man etwas getan hat, was gut gelaufen ist und was schlecht. Transparent (nicht wie Wirecard ;-)) und schonungslos. Nur so lernt man dazu und stellt Fehler ab und konzentriert man sich auf das Gute. Auch wenn es keinen 100%igen Beleg dafür gibt, dass Einstein dies wirklich gesagt hat: Die Definition von Wahnsinn ist immer wieder das Gleiche zu tun und unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten…

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Fazit: Diese Zeilen sollen nicht wirken wie Nelson von den Simpsons, auf die Wirecard-Aktionäre zeigen und laut „HAHA“ rufen.

Diese Zeilen sind eher ein „Willkommen im Club“: Jeder erfahrenere Anleger und Trader hatte selbst schon in abgewandelter Form seine eigene „persönliche Wirecard“. Jeder erfahrenere Anleger kann das Spiel so oder so ähnlich mitspielen: „Mein Haus, Mein Auto, mein besch…stes Investment.“

Die aufgeführten Anleger-Fehler, die aus aktuellem Anlass natürlich besonders bei der Wirecard aufgetreten sind, sind mindestens so alt wie Börse selbst und werden auch weiter existieren, so lange es Börse gibt und Menschen im Spiel sind. Es gibt natürlich noch weitere Fehler, die immer wieder auftreten. Diese Fehler zeigen, dass sich ein Anleger als allererstes mit sich selbst beschäftigen sollte, um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Mein Anlegerherz hofft, dass nicht zu viele Börsen-Existenzen durch eine einzelne Aktie, wie die Wirecard vernichtet worden sind.

Aus schlechten Erfahrungen können gute Dinge hervorgehen. Börse gibt uns ständig neue Erfahrungen, mit denen wir uns auch persönlich weiterentwickeln können.

Wir sind das, was wir aus unseren Erfahrungen machen.

Was machst Du draus?

Viele Grüße
Maik Thielen
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