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Der Raubritter der Wall Street – Jay Gould

Artikel, Zitate und Personen Nick Thomas 2.869 Leser

Jay Gould gehört zu den meistgehassten Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte. Immer wieder wurde er in den Zeitungen und Flugblättern als der Teufel persönlich karikiert. Dabei hat kaum ein anderer Investor einen so großen Beitrag zur Entwicklung der USA geleistet, wie der Autodidakt und Farmersohn aus Roxbury.

jay-gouldJason Gould, genannt Jay, wurde am 27. Mai 1836 in Roxbury im US-Bundesstaat New York geboren. Seine Eltern gehörten schottischen Einwandererfamilien an, die sich ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft verdienten. Jays Mutter starb 1941 an Tuberkulose, sodass der Knabe ab dem 5. Lebensjahr Halbwaise war. Nach diesem tragischen Erlebnis hatte Jays Vater für seinen Sohn eine Rolle als Hilfskraft für die Feldarbeit vorgesehen. So wurde Jay auch der Schulbesuch versagt. Jay war allerdings sehr neugierig und gleichermaßen intelligent, sodass er sich lesen, schreiben und rechnen autodidaktisch beibrachte. Darüber hinaus baute er während seiner Kindheit (!) einen breit gefächerten Wissensfundus in vielerlei Themengebieten auf.
Mit 13 Jahren schaffte Jay es letztendlich doch, seinen Vater von den Vorzügen einer schulischen Ausbildung zu überzeugen. Allerdings konnte Vater Gould seinem Sohn keinerlei Unterstützung zukommen lassen. Er fuhr ihn lediglich mit dem Kutschwagen zur 9 Meilen entfernten Hobart Academy und überließ seinen Sohn, ausgestattet mit $0,50 und einem Sack voller Kleider, dem Schicksal. Jay konnte einen Schmied überzeugen, ihn als Buchhalter einzustellen und als Gegenleistung Kost und Logis zu erhalten. Einziges Problem: der Farmersohn hatte keine Ahnung von der Buchführung. Begünstigt durch seine Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe arbeitete sich der Akademist fix ins Thema ein und bewies großes Geschick im Umgang mit Zahlen.

Während der Schulzeit entwickelte Gould eine Leidenschaft für das Kartografieren. Durch Reisen und Beobachtungen erstellte er eine detaillierte und genaue Karte für das Ulster County, New York, welche er unter seinem Namen vertrieb. Außerdem interessierte er sich sehr für Historie und schrieb die Geschichte des Delaware County nieder, welche 1856 veröffentlichte wurde. Gould war also mit nur 20 Jahren bereits Buchhalter, Kartograf und Autor gewesen.

1856 erfolgte der nächste Schritt in seiner Entwicklung. Er stieg ins Gerbergeschäft ein und gründete sogar mit seinem Partner, dem bekannten Gerber Zadoch Pratt, eine Gerberstadt namens Gouldsboro. Diese Stadt gibt es noch heute. Gould musste allerdings 1858 seine Anteile an diesem Geschäft aufgrund von Rechtstreitigkeiten abtreten.

Wall Street

1859 zog es ihn dann nach New York, wo er seine spätere Frau Helen Day Miller kennenlernte. Die Beiden setzten 6 Kinder in die Welt. Ebenfalls 1859 setzte Gould seinen Fuß in die Wall Street. Er wollte sein Glück an diesem schillernden Ort herausfordern. Allerdings standen die Chancen auf Erfolg nicht besonders gut. Die Wall Street war zu jener Zeit eine Art Spielwiese für einen eher kleinen Kreis von älteren und wohlhabenden Männern, die Neulingen wenig Raum zur Entfaltung ließen. Jay Gould hatte weder das richtige Alter, noch die finanziellen Mittel und nötigen Kontakte, um Einlass in diesen elitären Kreis zu erhalten. Darüber hinaus wusste er auch schlichtweg nichts über die Funktionsweise einer Börse. In gewohnter Manier machte Gould die Not zur Tugend und nutzte seine Unbekanntheit, um von etablierten Spekulanten zu lernen und das Börsenspiel zu verstehen. Auch hier zeigte sich Goulds brillante Auffassungsgabe und Lerngeschwindigkeit. Bald schloss er erste kleinere Geschäfte ab.

Als sich die Beziehung zu Helen vertiefte und letztlich beide heirateten, kam Gould über seinen Schwiegervater zum Eisenbahngeschäft. Gemeinsam restrukturierten sie die Eisenbahngesellschaft Ruthland and Washington Railway und verkauften sie im Anschluss gewinnbringend an der Börse. Ganz ähnlich ging er bei zwei weiteren kleineren Eisenbahngesellschaften vor, die er noch im selben Jahr kaufte und auf Vordermann brachte, um die Anteile zu einem höheren Preis zu verkaufen. So erklomm Gould Level für Level auf dem Weg in die erste Börsenliga.

Der Raubritter

Bis zum Ende der 1860er wurde aus Gould, dem Restrukturierer, ein Mann, vor dem die ganze Wall Street zitterte. Er lernte schnell, wie die Spekulanten in jener Zeit Preise manipulierten und wendete diese Techniken ebenfalls an, nur noch effizienter. Außerdem hatte er sich weitreichende Kontakte bis hin zum Präsidenten der Vereinigten Staaten aufgebaut, die ihm erlaubten, Aufsichtsbehörden und sogar Richter zu bestechen. Jay Gould war mit allen Wassern gewaschen und drückte dem Spiel der Wall Street seinen ganz eigenen Stempel auf.

Am bekanntesten ist wohl der sogenannte Erie War, in welchem sich alle großen Eisenbahnbahn-Magnaten der damaligen Zeit, angefangen bei James Fisk über Daniel Drew bis hin zum großen Cornelius Vanderbilt, duellierten und Jay Gould mit Finesse und Geschick alle anderen ausstach. Es ging dabei um die Eisenbahnstrecke Erie Railroad, die in den 1860er Jahren in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, obwohl sie dem Multimillionär Cornelius Vanderbilt mehrheitlich gehörte und die Route aufgrund ihrer ausgezeichneten geografischen Lage hohes Ertragspotenzial aufwies. Gould kaufte sich einen Minderheitsanteil am Unternehmen und ergatterte einen Aufsichtsratsposten. Er überzeugte die anderen Eigentümer, mittels der Emittierung von Anleihen die Restrukturierung des Unternehmens zu finanzieren. Gould gab entgegen der Absprachen mit Vanderbilt, Drew und Fisk Wandelanleihen aus, wandelte diese dann in Stammaktien um und verwässerte so den Anteil der anderen Eigentümer und stieg selber zum Haupteigner auf. Durch Bestechung ließ er die Ausgabe der Wandelanleihen im Nachgang rechtlich legitimieren. So besaß er plötzlich eine der attraktivsten Eisenbahnstrecken der USA.
Gleichzeitig heimste er sich die lebenslange Feindschaft und Verachtung von Cornelius Vanderbilt ein. Vanderbilt versuchte oft, sich für diese Schmach zu rächen, zog aber immer wieder den Kürzeren. So wollte er beispielsweise mit seinen anderen Eisenbahnrouten dafür sorgen, dass Gould und seine Erie Railway keine Kunden erhielten. Vanderbilt senkte daher die Transportgebühren für einen Eisenbahnwaggon von $175 auf $150 ab. Gould stieg in diesen Preiskampf ein und bot Transportleistungen für $125 pro Waggon. Das setzte eine Kaskade in Bewegung, die darin gipfelte, dass Vanderbilt die Transportgebühren pro Waggon auf sage und schreibe $1 senkte. Er hatte den Kampf gewonnen, auch wenn er bei jeder Fahrt Verluste machte. Was Vanderbilt in seiner Genugtuung jedoch entging: Gould kaufte heimlich große Mengen Rindvieh und ließ dieses Vieh mit Vanderbilts Zügen für die lächerliche Summe von $1 pro Waggon nach Westen transportieren, wo er die Tiere gewinnbringend verkaufen konnte. Als Vanderbilt davon erfuhr, platzte er fast vor Wut.

Schwarzer Freitag

Im September 1869 löste Jay Gould nachweislich einen der schwersten Börsencrashs des 19. Jahrhunderts aus. Zusammen mit seinem ehemaligen Konkurrenten James Fisk heckte er einen brillanten Plan aus. Die Überlegungen lauteten wie folgt: der Preis für Weizen korrelierte zu dieser Zeit sehr stark mit dem Goldpreis. Würde also der Goldpreis steigen, stiege auch der Preis für Weizen, sodass die Farmer im Westen der USA einen Anreiz hätten, ihre Ernten zu verkaufen und in den Osten zu transportieren, wo das Getreide dann mit Schiffen nach Übersee hätte verschifft werden können. Durch das erhöhte Transportaufkommen würden Gould und Fisk durch ihre Eisenbahnlinien überproportional verdienen. Außerdem könnten sie das Gold, das sie günstig gekauft hatten, gewinnbringend veräußern und somit doppelt absahnen. Soweit zur Theorie.
Schon damals konnte man Gold mit großem Hebel erwerben. Mit $100.000,00 und Kreditwürdigkeit konnte man problemlos Gold für $20 Mio. kaufen. Jay Gould engagierte also klammheimlich eine ganze Horde von Brokern, die anonym und stetig Gold für ihn aufkauften. Die einzige Gefahr bei diesem Plan bestand darin, dass die Federal Treasury dem Anstieg des Goldpreises entgegenwirken würde, indem sie selber große Mengen ihres eigenen Goldes auf den Markt schmiss und so die Preise drückte. Gould nutzte also seinen Einfluss, um die Verantwortlichen der Federal Treasury davon zu überzeugen, selber kein Gold zu verkaufen. Jay Goulds Zielpreis für die Unze des Edelmetalls waren $145. Am Mittwoch, den 26. September 1869, notierte der Preis pro Unze bei $141. Gould hatte Gold im Wert von $40-50 Mio. gekauft und war unglaublich nah dran an der Erreichung seines Ziels. Allerdings reagierten die Aktienmärkte mit Kapriolen auf den mysteriösen Anstieg des Goldpreises, was letztlich auch den damaligen US-Präsidenten Ulysses S. Grant nicht kalt ließ. An der Wall Street gingen Gerüchte um, dass Grant anordnen würde, Teile des Goldes der Federal Treasury zu verkaufen, um die Märkte zu beruhigen. Jay Gould realisierte, dass er schnellstmöglich sein Gold verkaufen müsse oder anderenfalls ruiniert wäre. Am Freitag, den 28. September 1869, lag der Goldpreis gar bei $160 pro Unze und Gould ließ über seine Broker so viel Edelmetall wie möglich verkaufen. Am Mittag kam die Information zur Wall Street, dass Präsident Grant Gold im Wert von $4 Mio. auf den Markt wirft. Innerhalb von zwei Minuten fiel der Goldpreis von $160 pro Unze auf $40 pro Unze. Zehn Minuten später war der Preis wieder auf $148 gestiegen. Die wilden Fluktuationen setzten fort und am Tagesende notierte der Goldpreis bei schlappen $34 pro Unze Gold.
An diesem Tag gingen 14 große Investmentfirmen pleite und im Nachgang gab es große Proteste vor dem Büro von Gould, als herauskam, dass er direkt verantwortlich für diesen Crashtag war. Gould machte mit dieser Manipulation am Ende sogar einen kleinen Profit, der aber für Rechtstreitigkeiten draufging. Er wurde nie für diese Manipulation inhaftiert, aber sein Ruf sollte auf alle Ewigkeit ruiniert sein.

Der Macher

Die Goldpreismanipulation bildete auch den negativen Höhepunkt seiner Karriere. Bis zu seinem Tod baute Gould diverse Eisenbahnlinien quer durch die USA und stieg außerdem groß ins Telegraphengeschäft ein. Durch seine Eisenbahnlinien verband Gould 20 US-Bundesstaaten und leistete so einen erheblichen Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Im Jahre seines Todes 1892 besaß er 16.000 Streckenkilometer Gleis, was ungefähr ein neuntel der amerikanischen Gleisstrecken entsprach. Sein Erbe ist in Form der Union Pacific Railroad noch heute an der Börse handelbar. Sein Vermögen wird auf $77 Mio. geschätzt, was inflationsbereinigt heute einem Wert von $78 Mrd. entsprechen würde. Damit gehörte Gould zu den reichsten Menschen, die jemals auf unserem Planeten gewandelt sind. Gould starb am 02. Dezember 1892 in New York an Tuberkulose.

Eine äußerst interessante Dokumentation über sein Leben finden Sie hier.

Zitate

- „Ein bisschen Geld und Durchhaltevermögen macht jeden Mann reich.“
- „Ich will keine Prozesse, ich will Ergebnisse.“
- „Es gibt kein Geheimnis. Ich vermeide Unglück durch Geduld.“
- „Arbeit hat noch niemandem wehgetan.“
- „Sage niemals ‚Katze‘, bis du sie nicht im Sack hast.“
- „Ich kaufte immer die Zukunft; so verdiente ich mein Geld.“
- „Wenn Arbeit und Kapital allein gelassen werden, regulieren sie sich gegenseitig.“
- „Ich möchte Eigentum, das Geld verdient.“
- „Die Wall Street ist wie der Ozean. Niemand kann sie beherrschen. Sie ist einfach zu gewaltig. Sie ist voller Strudel und Strömungen.“
- „Als junger Mann hat man meiner Meinung nach keine Probleme ein Millionär zu werden, sofern man sich vorgenommen hat, einer zu werden.“
- „Arbeite hart und sei nicht dumm. Wenn du etwas Geld bekommst, packe es dort hin, wo es sich verdoppelt. Sorge dafür, dass sich dein Geld weiterhin verdoppelt und das Ergebnis wird sehr befriedigend sein.“
- „Ich bin sehr froh zu arbeiten und ich wette eine Silbermünze gegen einen Apfel, dass ich am Tag mehr arbeite als ein Zwanzigjähriger in einer Woche.“
- „Die Panik von 1857 kam und ich dachte ein oder zweimal, dass wir es nicht überstehen würden, aber wir sind durchgekommen.“
- „Verdiene Geld – ehrlich, wenn möglich – aber verdiene Geld!“
- „Eine Aktie hängt nicht nur von ihrer Dividende ab. Du bezahlst mehr für Rubine als für Diamanten, und mehr für Diamanten als für Glasscherben.“
- „Meine Investmentphilosophie ist folgende: investiere in alles, was Profite verspricht.“
- „Und vergiss nicht, mein Junge: das Essentielle im Geschäftsleben ist, deine Zahlungsfähigkeit zu bewahren.“
- „Ich habe keinen konkreten Plan. Ich habe nur das Ziel vor Augen. Pläne müssen auf dem Weg geschmiedet werden.“